Auf die Corona-Herausforderung antworteten die Vortragenden mit ermutigenden Statements: mit Erzählungen, Gleichnissen, Ermahnungen und Gebeten. Die Pandemie kam als Herausforderung in den Blick, durch welche die Menschen auch etwas lernen könnten. Sie wurde verstanden als Chance zum Wandel hin zu aufgeklärter Erkenntnis und Wachsamkeit, zur Einsicht in die Verwundbarkeit der Menschen und der Natur, zur Einübung in eine gelassene Haltung wider Panik und Angst bis hin zu solidarischer Fürsorge und gegenseitigem Respekt. Diese Hoffnung unterstützte die Klezmer-Musik der Klarinettistin Salome Etter und des Perkussionisten Andrea Zamengo im Wechsel von nachdenklicher Melancholie und unbändiger Lebensfreude. Einen stimmigen Ausdruck fand diese Zuversicht in der Performance zum Schluss, als die Beteiligten die weissen Segel des Schiffes in der Mitte des Raumes mit farbigen Herzen schmückten.
Zu Gast war die interreligiöse Bettagsgesellschaft bei der islamischen Reformgemeinde Ahmaddiyya Muslim Jamaat. Viele ihrer Mitglieder sind aus dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet (vor allem dem heutigen Pakistan) vor Repressalien geflüchtet. Ihr Exil erstreckt sich über alle Kontinente. In der Schweiz zählt die Glaubensgemeinschaft etwa 850 Mitglieder. Imame stellten die Reformgemeinde mit einer sorgfältig gestalteten Ausstellung vor und führten durch die Räume der Nur Moschee in Wigoltingen. Im Anschluss an die Feier wurden die Gäste mit einer würzigen pakistanischen Mahlzeit verköstigt. Frauen konnten sich von Frauen ein Henna Tattoo machen lassen.
Matthias Loretan
Hier können Sie die vorgelesene Texte im PDF nochmals in Ruhe lesen.
Ein kurzes Interview mit dem Koordinator der interreligiösen Feier im Thurgau, Hans Peter Niederhäuser für SRF 1 - Regionaljournal Ostschweiz: Es beginnt bei 9 Min. 38. Sek. - Hier anklicken!
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Hans Peter Niederhäuser, Koordinator der interreligiösen Feier im Thurgau
Was war speziell an der diesjährigen Feier?
Ich meine, wir können mit Blick auf die diesjährige, sechste interreligiöse Bettagsfeier im Thurgau von einer lebendigen, sich entwickelnden Tradition sprechen. Am Anfang stand das respektvolle Hören auf die Texte aus den verschiedenen Religionen zu einem gemeinsamen Thema. Bald kam eine musikalische Einbettung hinzu, diesmal Klezmer-Musik aus der jüdischen Tradition. Und nun schon zum zweiten Mal suchten wir nach einer rituellen Handlung, die nicht an einer religiösen Tradition, sondern an der jeweiligen Thematik anknüpft. So fand ich es speziell, dass an der diesjährigen Feier in der Mitte ein durch zwei Segel angedeutetes Schiff stand, an die von allen Teilnehmenden zum Zeichen für ihre Beherztheit ein farbiges Herz geklebt wurde. Das Thema «Mut zum Wandel» sollte damit verdeutlicht werden: Die Pandemie fordert uns als Einzelne, aber auch die Religionen dazu auf, Altes loszulassen und uns mit unseren je eigenen Farben mutig ins gemeinsame Boot der Solidarität zu begeben.
Was ist besonders gelungen?
Von Anfang an setzten wir auf das Konzept, die Feier nicht immer am gleichen Ort durchzuführen, sondern uns von einer Religionsgemeinschaft einladen zu lassen. So waren wir diesmal bei der islamischen Ahmadiyya-Gemeinschaft in der Nuur-Moschee in Wigoltingen zu Gast. Einmal mehr waren die Gastfreundschaft und Freundlichkeit, die uns zuteilwurden, ein beeindruckendes Erlebnis. Bei der reichlichen Bewirtung im Anschluss an die Feier wurden intensive Gespräche geführt, alte Bekanntschaften erneuert und neue Kontakte geknüpft. Das ist wohl etwas, das den religiösen Frieden in unserem Land am meisten fördert.
Nachbearbeitung und Reflexion der interreligiösen Bettagsfeier
Mittwoch, 19. Januar 2022, 19 - 21 Uhr
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Ann-Katrin Gässlein, Expertin zum Thema «Interreligiöse Feiern»
Sie verfasst zurzeit eine Dissertation zum Thema «Religionsverbindende Feiern».
Geht das: interreligiös beten/feiern?
Es ist problematisch, «beten» automatisch mit einer «feiern» gleichzusetzen. Der Sprachgebrauch im Englischen (prayer) und im Deutschen verführt dazu, aber trifft die Sache nicht; denn es haben sich heute weltweit verschiedene Formen des Feierns durchgesetzt, bei denen Menschen aus unterschiedlichen religiösen, z.T. auch kulturellen Traditionen Beiträge einbringen. Da kommen zwar Gebete vor, aber eben nicht nur. In den meisten Feiern wechseln sich Texte, Impulse, Symbolhandlungen, Meditationen, Musik etc. ab.
Was ist genau das Problem beim interreligiösen Beten?
Theologisch scheint es Probleme bei gemeinsam vollzogenen Handlungen zu geben, vor allem bei gleichzeitig laut gesprochenen Gebeten; diese haben ja eine Gottesanrede. Über den Adressaten des Gebets muss man sich im Vorfeld theologisch seriös verständigen. Ich kann Christ*innen verstehen, die Mühe haben, wenn allein zu «Gott, dem Schöpfer» gebetet wird und jeder Bezug zu Jesus Christus oder dem Heiligen Geist weggelassen wird, damit ein Gebet sprachlich z.B. für Muslim*innen anschlussfähig wird – zumal die meisten Muslime ein gemeinsam gesprochenes Gebet oft gar nicht wünschen. In der Realität werden vielfach «neutral gemeinte» Gebete als gemeinsamer Sprechakt vorgeschlagen, zum Beispiel die Schweizer Nationalhymne oder das «Gebet der Vereinten Nationen». Ob diese «Gebete» angemessen sind, müssen die Mitwirkenden einer Feier jeweils gemeinsam entscheiden.
Es ist zwar denkbar, alle Anwesenden einzuladen, gemeinsam zu beten. Doch sind Vereinnahmungen, die durch indirekte Erwartungen geschürt werden, unbedingt zu vermeiden. Umgekehrt kann aber auch das dezidierte Abgrenzen irritieren, zum Beispiel wenn Teilnehmende explizit aufgefordert werden, beim Gebet der Andersgläubigen «ja nur» zuzuhören.
Wird bei einer Feier das Gebet eines Andersgläubigen vorgetragen, wie verhalten sich dann die Angehörigen der jeweils anderen Religion(en)? Sollen sie neugierig zuhören, auf einen Black-out hoffen oder nicht doch im Sinn ihrer Religion «mitbeten»?
Auf eine solche Frage gab der evangelische Theologe Hans Martin eine inspirierende Antwort. Er erzählte, wie er bei einer Zeremonie in einem Hindu-Tempel still für sich das Vaterunser betete. –
Ich ziehe folgendes Fazit: Je besser die Beteiligten einander kennen und je stabiler das gegenseitige Vertrauen ist, desto achtsamer gehen sie miteinander um und desto entspannter lösen sie die Frage des Betens bei gemeinsamen Feiern.
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Interreligiöser Arbeitskreis im Kanton Thurgau
Kurzporträt des Trägervereins
Als interreligiöser Arbeitskreis setzen wir uns ein für das friedliche Zusammenleben der Religionen im Kanton Thurgau und fördern den interreligiösen Dialog. Durch die Gespräche wachsen Beziehungen, ja Freundschaften zwischen Menschen verschiedener Bekenntnisse. Durch die Auseinandersetzung mit den anderen kann aber auch der eigene Glauben an Tiefe und Freude gewinnen.
Unsere Ziele verfolgen wir u.a. durch Begegnungen, Informationsveranstaltungen, Beratungen, interreligiöse Feiern sowie über unsere Webseite thurgau-interreligiös.ch.
Der interreligiöse Arbeitskreis ist als Verein organisiert. Wir zählen 30 Einzelmitglieder und 12 Kollektivmitglieder. Alle Beteiligten arbeiten ehrenamtlich. Wir verstehen uns nicht als Dachorganisation oder Interessenvertretung religiöser Einrichtungen, sondern pflegen als zivilgesellschaftliche Plattform den interreligiösen Dialog nach innen und nach aussen.
· Mitgliedschaft einzeln: Fr. 30.- jährlich, gültig bis Ende 2022
· Mitgliedschaft kollektiv: Fr. 100.- jährlich, gültig bis Ende 2022
Beispiele für Beratungen
· Wenn Lehrpersonen mit Klassen eine Moschee, eine Synagoge oder einen buddhistischen Tempel in ihrer Umgebung besuchen oder Erwachsenenbildner ein*en Referent*in suchen
· Wenn Moscheegemeinschaften den Kontakt zu den öffentlichen Schulen suchen, um den muslimischen Kindern einen islamischen Glauben zu vermitteln, mit dem sie in ihrer modernen und pluralistischen Mitwelt frei und selbstbewusst leben können
· Wenn Gesundheitsbehörden die Zusammenarbeit mit Moscheen suchen, damit Migranten sich freiwillig impfen lassen; wenn Verantwortliche in Gefängnissen oder anderen öffentlichen Institutionen nach Imamen suchen, mit denen sie im Rahmen rechtsstaatlicher Gepflogenheiten verlässlich zusammenarbeiten können
· Wenn eine Jugendliche wegen ihres Kopftuches keine Lehrstelle findet
· Wenn in einer Partnerschaft beide in ihrem eigenen Glauben verwurzelt bleiben wollen und doch eine gemeinsame Zukunft planen
Auswahl öffentlicher Veranstaltungen
6. Interreligiöse Feier zum Bettag
Corona-Pandemie als Herausforderung. Mut zum Wandel
Eidg. Bettag / Sonntag, 19. September 2021, 17.00 Uhr,
Ahmadiyya Nur Moschee. Haslistrasse 25, 8554 Bonau.
Tag der Offenen Moscheen in Kreuzlingen
Sonntag, 3. Oktober (im Rahmen der Interkulturellen Woche Kreuzlingen–Konstanz)
Führung und Gespräch
Jüdisches Leben in St. Gallen. Stadtführung und Besuch der Synagoge
Begegnungen im Rahmen der Woche der Religionen. Donnerstag, 11. November
17.00 Uhr: Stadtrundgang mit Walter Frei. Auf den Spuren jüdischen Lebens
18.30 Uhr: Gespräch mit Rabbiner Dr. Tovia Ben-Chorin in der Synagoge
Über die jüdische Gemeinde heute und ihr religiöses Leben. Erfahrungen mit Antisemitismus und interreligiösem Dialog
5. Interreligiöses Gespräch: Sinn und Modelle interreligiöser Feiern
Mittwoch, 19. Januar 2022, 19 - 21 Uhr, Kath. Pfarreizentrum, Freiestrasse 13, Weinfelden Mit Ann-Kathrin Gässlein und Hans Peter Niederhäuser
Die Corona-Pandemie als Herausforderung
Thematischer Teil der Mitgliederversammlung vom 19. Mai 2022, 18.00 Uhr
Wie sind wir mit den verordneten Einschränkungen umgegangen?
Wie deuten wir die Corona-Pandemie im Lichte des jeweiligen Glaubens?
Was können wir daraus für die interreligiöse Solidarität vor Ort lernen?
Welche Referenztexte sind dabei wichtig, heilig geworden? (z.B. Hiob-Geschichte)