Im letzten Sommer kündeten Monika Knill ihren Rücktritt aus dem Regierungsrat an, und zwar auf Ende Mai 2024. Ihre Nachfolge im Departement für Erziehung und Kultur (DEK) wird Denise Neuweiler als neu gewählte Regierungsrätin (ebenfalls SVP) am 1. Juni übernehmen.
Gut 40 Interessierte folgten dem Gespräch, das Matthias Loretan mit der Bildungsdirektorin in der albanischen Moschee in Frauenfeld führte. Versiert gab Monika Knill Auskunft über die Entwicklung der Schule im Thurgau während ihrer Amtszeit in den letzten 16 Jahren. Es galt verschiedene Reformen im Bildungswesen zu verarbeiten (z.B. Lehrplan 21, Blockzeiten, Einführung von Schulleitungen), eine steigende Zahl fremdsprachiger Kinder zu integrieren und genügend Lehrpersonen für die zunehmend anspruchsvolleren Herausforderungen zu motivieren und auszubilden. Diese Entwicklungsaufgaben ging Monika Knill lösungsorientiert und pragmatisch an. Es gab keine spezifisch Knillsche Bildungspolitik, die nach ideologischen Grundsätzen sich einen Namen machte. Monika Knill schätze die Zusammenarbeit mit den Akteuren auf nationaler und lokaler Ebene, mit denen es etwas Konstruktives zu gestalten gelte.
Positiv bewertete Knill, dass die 87 Schulgemeinden im Thurgau relativ autonom seien. Sie könnten auf lokaler Ebene oft nahe bei den Beteiligten die besten Lösungen finden. Diese Flexibilität machten sich die Schulbehörden in Kreuzlingen (2010), Sulgen (2019) und Romanshorn (2022) zunutze. Mit ihrem hohen Anteil muslimischer Schülerinnen bieten sie Religionsunterricht für muslimische Kinder an. Seit Beginn begleitete Monika Knill diese Experimente mit gouvernementalem Wohlwollen. An diesen sozialen Brennpunkten seien auf lokaler Ebene Projekte gelungen, bei denen die Kirchen, die Moscheen und die Schulen gemeinsam etwas entwickelten. Dieses Zusammenwirken hätte das gegenseitige Vertrauen vertieft und es sei etwas Wunderbares entstanden.
Allerdings ist für Knill die Zeit nicht reif, um kantonsweit Islamunterricht anzubieten. Eine solche Ausweitung bedürfte einer breiteren politischen Abstützung durch parlamentarische Beratung und Mehrheitsentscheide, deren Ausgang momentan schwer abzuschätzen seien. Trotzdem ermutigte Knill die Initianten solcher Projekte zur Schaffung von weiteren vertrauensbildenden Lernfeldern an Orten mit einem hohen Anteil muslimischer Kinder.
Thurgauer Religionspolitik – ein Wechselbad
Matthias Loretan räumte ein, dass mit einem flächendeckenden Angebot Islamischen Religionsunterrichts (IRU) an den Thurgauer Schulen auch die Moscheegemeinden vorläufig organisatorisch überfordert wären.
Er erinnerte an die wechselhaften religionspolitischen Debatten im Kanton Thurgau, welche die IRU-Projekte geprägt hätten. Noch während der Vorbereitung des IRU-Projektes in Kreuzlingen nahm die Thurgauer Bevölkerung die Minarett-Initiative mit 67,7 Prozent an. Der Ja-Anteil lag deutlich über dem schweizerischen Ergebnis von 57,5 Prozent.
In Rekordzeit sammelten zwei Jahre nach dem Start des IRU-Projektes in Kreuzlingen die Schweizer Demokraten Unterschriften für die Volksinitiative gegen frauenfeindliche, rassistische und mörderische Schriften. Mit den diffamierten Schriften war der Koran gemeint. Die Verfassungsinitiative zielte auf ein Verbot des islamischen Religionsunterrichts in Kreuzlingen. Das Plebiszit kam allerdings wegen seiner diskriminierenden Begründung nicht zur Abstimmung. Die Schweizer Demokraten fochten diesen Entscheid des Thurgauer Regierungsrates an, doch sowohl der Thurgauer Grosse Rat als auch die gerichtlichen Verfahren bis hin zum Bundesgericht stützten die Verhinderung der Abstimmung.
Weitere zwei Jahre später (2014) verlangte Daniel Wittwer, Parlamentarier der Eidgenössisch Demokratischen Union, mit einer Motion, dass Schulräume für den landeskirchlichen Religionsunterricht zu reservieren seien. Der Thurgauer Grosse Rat verwarf auch diesen Vorstoss zur Verhinderung des IRU in Kreuzlingen mit 87 Nein zu 25 Ja deutlich.
Die Entwicklung des Religionsunterrichts für muslimische Kinder kam im Frühjahr 2023 erneut ins Stocken, als die Schulbehörde in Weinfelden die Mitwirkung am ihr vorgelegten Projekt mit der Begründung ablehnte, für solche Schulprojekte fehlten im Kanton Thurgau sowohl der politische Wille als auch die rechtliche Grundlage. Plötzlich war auch der Bestand der bisherigen IRU-Projekte wieder gefährdet.
Kurz vor dem Eidgenössischen Bettag teilte das Amt für Volksschule im Departement für Kultur und Erziehung den IRU-Verantwortlichen mit, dass der rechtliche Rahmen für die Durchführung der Projekte gegeben sei. Bei den IRU-Verantwortlichen herrschte grosse Erleichterung. Allerdings bietet die niederrangige rechtliche Begründung wenig Rechtssicherheit. «Die Schulgemeinden können auf Grundlage Ihres allgemeinen Bildungsauftrags (§ 2 des Gesetzes über die Volksschule) und der Empfehlung der Eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz zur Schulung fremdsprachiger Kinder vom 24. Oktober 1991 die kostenlose Nutzung von Schulräumen für solche Projekte in ihrer eigenen Verantwortung bewilligen. Auf der gleichen Grundlage erfolgt seit mehreren Jahrzehnten die Unterstützung der Kurse in heimatlicher Sprache und Kultur, die meist ebenfalls in den Schulhäusern stattfinden.»
Fazit: Die die aktuelle religionspolitische Situation im Thurgau erfordert von den Initianten der IRU-Projekte viel Geduld und Ambiguitätstoleranz. Das gouvernementale Wohlwollen des Amtes für Volksschule sowie die persönliche Ermutigung der scheidenden Regierungsrätin Monika Knill dürfen als Zeichen der Hoffnung gedeutet werden. Bleiben wir also dran und versuchen wir weiter Brücken zu bauen.
Matthias Loretan
Thurgauer Zeitung vom 18. April 2024, S. 27: Lokale Lösungen für Islamunterricht. SVP-Bildungsdirektorin Monika Knill spricht in der Frauenfelder Moschee über Islamunterricht an Thurgauer Schulen. Link zum Artikel von Mark Schoder. Link zum Artikel von Mark Schoder als pdf.
Monika Knill als Gastreferentin im Gespräch mit Matthias Loretan an der JV 2024
Wer ist für die religiöse Bildung im Thurgau zuständig? Die religiöse Erziehung ist primär Aufgabe der Eltern. Kirchen und Religionsgemeinschaften, aber auch die Schulenkönnen die Kinder bei ihrer Identitätsentwicklung unterstützen.
1. Im Auftrag des Staates
Der Kanton Thurgau gehört zu jenen Kantonen, die den christlichen Kirchen zusätzlich die Möglichkeit einräumen, in der Schule einen konfessionellen Religionsunterricht zu erteilen. Die Schülerinnen und Schüler können ihren christlichen Glauben aus einer Binnenperspektive reflektieren und vertiefen. Eltern können ihre Kinder vom konfessionellen Religionsunterricht abmelden. – Analog zum Auftrag der christlichen Kirchen kann an Orten mit einem hohen Anteil muslimischer Kinder auch islamischer Religionsunterricht angeboten werden. Die Entscheidung liegt bei den örtlichen Schulbehörden.
Matthias Loretan |